Mitten in den hochsensiblen Debatten um europäische Asylpolitik hat die Bundesregierung unter Führung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt ein Zeichen gesetzt – allerdings kein humanitäres, auch kein rechtsstaatlich verantwortbares. Vielmehr ein populistisches, kaltes und kurzsichtiges Symbol politischer Härte: 81 vollziehbar ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige wurden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgeschoben. Ziel: Kabul. Ein Ort, der aktuell faktisch kaum etwas mit Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde oder Schutz vor Gewalt zu tun hat.
Dabei ist das, was als sicherheitspolitische Notwendigkeit glorifiziert wird, in Wirklichkeit nichts anderes als ein eklatanter Bruch völkerrechtlicher Normen. Eine humanitäre Bankrotterklärung. Und ein gefährliches Einreißen der letzten rechtsstaatlich-ethischen Schutzmauern gegenüber Flüchtenden.
Ein Staat, der foltert – aber „sichere Rückführungen“ garantieren soll?
Afghanistan befindet sich laut jüngsten Einschätzungen der Vereinten Nationen (UN) sowie international führender Menschenrechtsorganisationen in einem menschenrechtlichen Ausnahmezustand. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Volker Türk, fordert unmissverständlich einen „sofortigen Stopp“ aller Abschiebungen nach Afghanistan. Die humanitäre Lage dort ist katastrophal, Folter, Verschwindenlassen, willkürliche Inhaftierung und außergerichtliche Hinrichtungen gehören in Teilen des Landes zur staatlich legitimierten Realität.
Was Alexander Dobrindt als konsequentes sicherheitspolitisches Regierungshandeln verteidigt, ist in Wahrheit ein Rückfall in eine Unkultur der Unverhältnismäßigkeit. Denn: Menschenrechte sind unteilbar – ihre Gültigkeit hängt nicht davon ab, ob jemand strafrechtlich aufgefallen ist. Diese fundamentale Erkenntnis des liberalen Rechtsstaats scheint in Teilen der neuen Bundesregierung verlorenzugehen.
Kein Asyl für Grundrechte?
Das Bundesinnenministerium gibt an, es habe sich ausschließlich um Männer gehandelt, „die in der Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten“ seien. Doch selbst wenn das zutrifft – und dieser Punkt wurde in keiner Weise öffentlich geprüft oder transparent gemacht – schließt das keinesfalls humane Standards im Umgang mit den Betroffenen aus. Eine rechtsstaatliche Gesellschaft misst sich schließlich nicht an ihrem Umgang mit Unschuldigen, sondern daran, wie sie mit jenen verfährt, die (angeblich) gegen ihre Normen verstoßen haben.
Wenn Dobrindt den Begriff „Recht“ ins Feld führt, sollte er auch das Völkerrecht nicht vergessen. Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention verbieten kategorisch Rückführungen in Länder, in denen den Betroffenen unmenschliche Behandlung oder Folter droht. Und Afghanistan ist dafür ein Paradebeispiel.
Pro Asyl kommentierte die Rückführung als nichts weniger als einen „eklatanten Bruch des Völkerrechts“. Solche Einschätzungen sind nicht ideologisch, sondern fundiert und juristisch präzise.
Technische Kontakte mit den Taliban – eine diplomatische Bankrotterklärung
Noch absurder wirkt der Fall vor dem Hintergrund der diplomatischen Begleitumstände: Die Bundesregierung hat offenbar „technische Kontakte“ zur Talibanregierung genutzt, um Reisedokumente für die Abgeschobenen ausstellen zu lassen. Was ist davon noch übrig, wenn der Bundeskanzler Friedrich Merz in der gleichen Woche öffentlich betont, dass es „keine diplomatische Anerkennung“ des Taliban-Regimes geben werde?
Eine Rückführungspolitik, die auf die Kooperation mit einer islamistischen Terrororganisation angewiesen ist, stellt nicht Sicherheit her, sondern unterminiert staatliche Glaubwürdigkeit sowie die Glaubwürdigkeit des westlichen Wertekanons. Wie lässt sich denn glaubwürdig abschieben in ein Land, dessen Regierung man offiziell nicht anerkennt – weil sie Menschenrechte mit Füßen tritt?
Das einzige, was hier technisch ist, ist der moralische Totalschaden.
Kriminalität bekämpfen – durch Integration, nicht durch Deportation
Selbstverständlich: Gewalt- und Sexualdelikte gehören juristisch exakt verfolgt und in aller Härte des deutschen Rechts geahndet. Die darin abgebildete Rechtsprechung ist ein zentrales Fundament jeder demokratischen Gesellschaft.
Doch eine Abschiebung ist kein Ersatz für ein funktionierendes Justizsystem. Wer in Deutschland straffällig geworden ist, soll hier nach deutschem Recht verurteilt werden – nicht in die Ungewissheit und Menschenrechtsverletzung überführten Zustände anderer Länder abgeschoben werden. Abschiebung ersetzt kein Urteil. Sie ersetzt nur Verantwortung durch Effekthascherei.
Und gesellschaftlich? Migration bleibt langfristig nur steuerbar durch umfassende, gerechte Integrationsmaßnahmen, Bildung, Förderung, Rechtsstaatlichkeit und Anerkennung. Nicht durch die symbolische Entsorgung von Einzelschicksalen auf internationaler Ebene.
Dass ausländische Herkunft kein pauschales Maß für Kriminalität ist, ist – bei aller medialen Verzerrung – längst empirisch bewiesen. Wer dennoch so argumentiert, bewegt sich nicht auf juristischem, sondern auf ideologischem Terrain – und entlarvt sich.
Ängste ernst nehmen – aber nicht rechts überholen
Politik darf Ängste in der Bevölkerung nicht ignorieren. Aber sie muss differenzieren. Gerade ein demokratischer Rechtsstaat wie die Bundesrepublik darf sich nicht an das gefährliche Vokabular und die Forderungen der extremen Rechten annähern – auch nicht aus Angst vor dem Aufstieg der AfD.
Sich „hart“ zu zeigen, weil es politisch kurzfristig Verunsicherung lindert, mag strategisch erscheinen, ist aber langfristig destruktiv. Deutschland wird weder durch populistische Abschiebeflüge noch durch die symbolische Dämonisierung ganzer Bevölkerungsgruppen sicherer. Im Gegenteil: Solche Maßnahmen spalten die Gesellschaft, befeuern rassistische Narrative – und gefährden den sozialen Frieden.
Fazit
Der jüngste Abschiebeflug nach Afghanistan ist kein sicherheitspolitisches Meisterstück, sondern ein Etikettenschwindel. Unter dem Deckmantel staatlicher Ordnung wird hier offen gegen fundamentale Menschenrechtsprinzipien verstoßen. Deutschland, das sich einmal stolz als „humanitärer Rechtsstaat“ definierte, verliert mit jedem solcher Abschiebeflüge ein kleines Stück dieser Identität.
Es braucht eine politische Kehrtwende – weg von Abschreckung und Willkür, hin zu Verantwortung, Integration, Rechtstreue und solidarischem Menschenbild. Das ist kein moralischer Luxus, sondern verfassungsrechtliche Pflicht.
