Fröhliche Weihnachten, Steuerzahler: Die EU zerlegt Polens 60-Jahre-Atom-Wette

Frohes Fest, ihr Nerds und Verschwender.

Während ihr euch gerade die Gans reinschraubt, hat die EU-Kommission (Brüssel, 18.12.2024, C(2024) 8924 final) ein Dokument gedroppt, das so heiß ist, dass es die Brennstäbe eigentlich gar nicht mehr braucht. Es geht um Polens feuchten Traum vom ersten eigenen Atomkraftwerk.

Ich habe mir die 78 Seiten reingezogen (PDF: SA.109707), damit ihr es nicht müsst. Und leck mich am Ärmel, das ist kein Investitionsplan, das ist ein Hilferuf in Tabellenform.

Polen will raus aus der Kohle. Gut. Aktuell verbrennen die dort drüben so viel Dino-Reste, dass der CO2-Fußabdruck einen eigenen Schatten wirft (Kohleanteil ca. 68% in 2023 ). Aber die „Lösung“? Ein Westinghouse AP1000 Reaktor-Trio in Lubiatowo-Kopalino. Kostenpunkt? Astronomisch. Finanzierung? Komplett irre.

Die Kommission hat jetzt offiziell das Hauptprüfverfahren (Formal Investigation Procedure) eröffnet. Und wenn man zwischen den Zeilen des Beamtendeutschs liest, steht da im Grunde: „Sagt mal, habt ihr Lack gesoffen?“

Hier sind die Fakten, warum dieser Deal das Potenzial hat, die polnische Staatskasse für den Rest des Jahrhunderts zu sprengen.

1. Der „60-Jahre-Garantie“-Wahnsinn

Haltet euch fest. Polen will dem Betreiber (der staatlichen PEJ) einen Contract for Difference (CfD) geben. Soweit, so Standard. Aber die Laufzeit?

60 Jahre. Sechzig. Das Ding läuft bis ins Jahr 2097 oder länger. Zum Vergleich: Hinkley Point C in UK hat 35 Jahre bekommen, und das galt schon als absurd lang. Die EU schreibt trocken: „It is unclear why such a long duration … would be warranted“. Übersetzung: Wir wissen nicht, wie der Strommarkt in 5 Jahren aussieht, aber Polen will Preise für das nächste Jahrtausend garantieren. Das schützt den Investor vor allem: Vor dem Markt, vor sinkenden Preisen durch Erneuerbare, vor der Realität.+2

2. „Free Lunch“ für Banken (Measure 2)

Das Projekt kostet ca. 192 Milliarden PLN (CAPEX). Wo kommt die Kohle her?

  • 30% Eigenkapital vom Staat.
  • 70% Schulden. Und jetzt der Clou: Der polnische Staat gibt eine 100%ige Garantie auf die Schulden. Und was verlangt der Staat dafür als Prämie? Nichts. Null. Zero.. Eine 100% Staatsgarantie ohne Gebühr („Guarantee Premium“). Das ist ökonomischer Selbstmord. Normalerweise muss man für das Risiko bezahlen. Polen sagt: „Passt schon, zahlt der Bürger.“ Die Kommission zweifelt massiv an, ob das überhaupt legal ist („doubts whether the 100% State guarantees should be provided without charging a fee“).+1

3. Währungsrisiko? Zahlt auch ihr!

Da Westinghouse (USA) die Technik liefert, muss vieles in USD oder EUR bezahlt werden. Wechselkursrisiko? Kein Problem! Der CfD enthält einen Mechanismus, der das Währungsrisiko komplett auf den Staat abwälzt. Die Banken haben nämlich abgewinkt. Polen hat rumgefragt, und die Banken meinten: „Hedging für so lange Laufzeiten und so gigantische Summen? Lol, nein.“. Also springt der polnische Steuerzahler ein. Wenn der Zloty crasht, wird’s teuer. Richtig teuer.+1

4. Der „Load Factor“-Trick

Atomkraftwerke müssen durchlaufen, damit sie Geld verdienen („Baseload“). Aber was passiert, wenn die Erneuerbaren (Wind/Solar) den Preis auf Null oder ins Negative drücken? Polen hat sich was ausgedacht: Den Two-way Load Factor Strike Price Adjustment Mechanism. Klingt wie ein Zungenbrecher, heißt aber: Wenn das AKW runterregeln muss, weil der Markt gerade mit billigem Windstrom geflutet wird, kriegt der Betreiber trotzdem Kohle (über eine Ex-Post-Anpassung des Strike Price). Die Kommission merkt an: Das führt zu völlig falschen Anreizen („Produce and forget“). Warum Wartung planen, wenn der Preis eh garantiert ist, egal ob man liefert oder nicht?.+2

5. Ohne Ausschreibung, weil „Alternativlos“

Wer baut das Ding? Die PEJ (Polskie Elektrownie Jądrowe). Gab es eine Ausschreibung? Nö. Polen sagt: Es gibt ja eh keinen anderen, der das kann. Die Kommission so: „Are you sure about that?“. Es gab keinen Wettbewerb, keine Transparenz, einfach nur einen Handschlag. Westinghouse liefert die AP1000 Reaktoren, Bechtel baut.+2

Voodoo-Mathematik beim WACC

Jetzt wird’s nerdy. Um zu berechnen, wie viel Subvention nötig ist, braucht man den WACC (Weighted Average Cost of Capital). Polen rechnet hier einen „Project Specific Risk Premium“ (PSRP) rein. Die EU-Kommission sagt dazu quasi: „Die Methode ist neu, kreativ und wir trauen ihr nicht“ („The methodology used by Poland is novel … Commission has doubts“). Polen behauptet, durch die ganzen Staatsgarantien sinkt das Risiko, aber sie wollen trotzdem hohe Risikoprämien in die Kalkulation schmuggeln, um den garantierten Strompreis hochzutreiben.

Fazit

Wir reden hier über ein Projekt, das erst 2037 ans Netz gehen soll. Bis dahin fließt noch viel Wasser die Weichsel runter. Die EU-Kommission hat jetzt die Bremse gezogen. Das Verfahren nach Artikel 108(2) TFEU ist kein Spaß. Polen muss jetzt beweisen, dass diese massive Marktverzerrung „notwendig, angemessen und verhältnismäßig“ ist.

Wenn das so durchgeht, haben wir einen Präzedenzfall in Europa: Staatliche Vollkasko für US-Konzerne, 60 Jahre Preisgarantie, Währungsrisiko beim Bürger und Schulden, die nie verfallen.

Wer wettet dagegen, dass das Ding am Ende das Doppelte kostet und 10 Jahre später fertig wird?

Update: Die Kommission lädt jetzt alle „Interested Parties“ ein, Kommentare abzugeben.. Popcorn bereithalten.


Quelle: EUROPEAN COMMISSION, Brussels, 18.12.2024, C(2024) 8924 final, State Aid SA.109707 (2024/C) – Poland Aid measures for the first nuclear power plant in Poland. Public Version.

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